(2020, 104 Min.) Regie: Sönke Wortmann. Drehbuch: Doron Wisotzky
Die 104-minütige Tragikkomödie «Contra» aus dem Jahr 2020 zeigt zwei Menschen, die sich respektieren lernen und sich sogar nach und nach befreunden – obwohl sie scheinbar vollkommen unvereinbare Herkunft, Lebenseinstellungen und Meinungen haben. Man könnte sogar meinen, sie müssten ewige Feinde sein, da sie zunächst in einen öffentlichen Kampf eintreten: Eine arabischstämmige Jura-Studentin mit ungezügeltem Temperament, Naima, und ein zynischer Jura-Professor, Richard Pohl. Dieser greift Naima an, als sie zu spät in seine Vorlesung kommt. Seine bissigen, spitzzüngigen Bemerkungen, sein höhnender Spott, seine boshaft verletzenden Äusserungen und verunsichernden Fragen sind rhetorische Kunstgriffe, mit denen man den anderen verunsichern kann und recht bekommt. Ein rhetorischer Kunstgriff ist genauso der persönliche Angriff, wenn der Gegenüber überlegen erscheint, hier der Vorwurf, er sei ein Rassist.
Professor Pohl, der alle seine Strafprozesse mit rhetorischen Kunstgriffen gewonnen hatte, soll also Naima das Argumentieren für einen Debattierwettbewerb beibringen, womit er zunächst verhindern wollte, wegen Vorwurf des Rassismus entlassen zu werden.
Er bringt der zuerst widerstrebenden, aber ehrgeizigen Naima nach und nach bei, wie sie äusserlich und in Worten so auftreten kann, dass sie überzeugen kann. Mit der Zeit lernen sich beide in ihrer Widersprüchlichkeit und mit ihren Schwächen und Stärken immer mehr schätzen. Beide entwickeln sich miteinander: Er begeistert sich für ihre Wissbegierde, Lernfreude und Ausdauer, auch für ihre Kritikfähigkeit, ihre Gradlinigkeit, ihre Unerschrockenheit und ihre Zuversicht. Sie begeistert sich für seine Direktheit, Ehrlichkeit, seine Standhaftigkeit, sein Vertrauen in sie und seine Fähigkeit, sie leidenschaftlich und systematisch zu fördern, so dass er ihr das Gefühl einflösste, auch als Araberin in Deutschland alles erreichen zu können und sich nicht verstecken zu müssen. Die freundschaftliche Annäherung ging so weit, dass Naima ihren Professor vor dem Disziplinarausschuss verteidigt, indem sie Kunstgriffe anwendet, wie die Überdehnung der Vorwürfe und grelle Übertreibungen und ihn so vor der Kündigung bewahrt.
Der Film zeigt auf, dass sich Menschen entwickeln und milder werden können, wenn ihnen Wohlwollen vom anderen entgegengebracht wird und sie sich in den anderen hineinversetzen und mitfühlen, die Art des Denkens und die Motive des anderen verstehen, indem sie sich für den anderen ganz interessieren, also den anderen auf eine Art lieben lernen. Und dabei annehmen, dass der andere vielleicht recht hat, man von ihm etwas lernen kann und der andere helfen will. Und dazu gehört auch zu wissen, dass es keine grundsätzlich bösen Menschen gibt, auch wenn sie eine andere Meinung haben und diese klar vertreten. Wer dem Menschen zugeneigt ist, geht davon aus, dass es niemanden gibt, den man ablehnen und den man deshalb von einem Gespräch ausschliessen muss. Jeder Mensch hat Motive für seine Haltung, auch Professor Pohl für seine zynische Art. Deshalb beginnt der Film mit einem Zitat des Aufklärers Joseph Joubert (1754 – 1824): «Das Ziel einer Auseinandersetzung sollte nicht der Sieg sein, sondern der Fortschritt».
Im Film wird dazu Arthur Schopenhauer zitiert, der glaubte, sichere Erkenntnisse seien nicht möglich und man könne nur im Mitgehen beim anderen den eigenen Egoismus überwinden, der sich auch daran zeige, dass die meisten Menschen rechthaberisch seien. 1830 beschrieb er 38 rhetorische Kunstgriffe, mit denen Menschen sich gegen andere durchzusetzen versuchen, unabhängig von der Wahrheit. Das stört dann nicht, wenn es keine Wahrheit gibt. Er zog jedoch seine Toleranz gegenüber Andersdenkenden aus der Vorstellung, dass die Welt sowieso nicht erkennbar sei und das vorgegebene eigene Leiden nur durch das Mitfühlen mit anderen geglättet werden könne. Deshalb plädierte er dafür, mit anderen zusammen nachzudenken, auszutauschen, in einen Dialog zu kommen und zwar zu überzeugen, aber nicht mit unlauteren Mitteln. Johann Wolfgang von Goethe war von ihm beeinflusst, was sich in der im Film zitierten Passage aus dem Stück «Faust» zeigte, die nahelegt, dass es keine sichere Erkenntnis geben könne und deshalb bleibe nur die Vortäuschung von Wahrheit oder wie im «Herr der Ringe» der Rückgriff auf mythische Ur-Zeiten mit einem ewigen Kampf.
Der Film vermittelt also: Eine gelungene Debatte lebt von guten Argumenten – nicht von Unterstellungen und Beleidigungen. Alles soll diskutiert werden, nichts soll von einer Debatte ausgeschlossen werden. Es soll zu einer Unterredung kommen und nicht zu einem Schlagabtausch oder Verweigerung des Gesprächs. Um das machen zu können, ist eine gewisse Distanz bzw Durchleuchtung und Akzeptanz zu den eigenen Themen die einem nahe gehen könnten notwendig, ansonsten ist man gefangen in den eigenen Gefühlsirrtümern und die Debatte wird von diesen geleitet.
Im Film zeigt sich eine Entwicklung auch bei Naimas Bruder, der seine pessimistische Sichtweise aufgibt, Araber könnten in Deutschland nur kriminell werden, da sie nicht akzeptiert werden und somit ohne Ausweg sind und ihm nur die Möglichkeit bleibt, mit Kampf und Gewalt etwas zu erreichen. Und ebenso beim Freund von Naima, der von ihr dahin gebracht wird sich zu wagen, ihr seine Liebe zu gestehen.
Ohne psychologische Kenntnisse könnte man wie im Film meinen, dass es ein friedliches Ringen um die guten Argumente nur gibt, wenn es keine Erkenntnisse, keine Wahrheit gibt. Schopenhauer stellte sich gegen die Aufklärer, die glaubten, dass man die Realität erkennen könne. Aus psychologischer Sicht sind es die Erlebnisse und die unbewusste Deutung des Lebens in den ersten Lebensjahren, die dazu führen, ob man gerne dazulernt, sich von anderen anregen lassen kann, sich für die Meinung und die Motive von jedem interessieren, Freude daran aufbringen und sich dabei sogar näher kommen kann. Und dabei die Realität immer genauer zu erfassen, sie zu erkennen und zu verstehen. Was Schopenhauer jedoch erahnte war allerdings richtig, dass die Wahrnehmung, der Verstand und die Vernunft des Menschen von damals unbekannten Kräften beeinflusst ist und sogar die Realität vernebeln kann, so dass wir nicht wollen können, was wir wollen, wie er sagte. Heute nennen wir dieses Phänomen die unbewussten beziehungsweise unverstandenen Meinungen oder Gefühlsüberzeugungen, deren Gefühlslogik wir aus den Kindheitserlebnissen heraus erfassen können und daraus eine realistisch-optimistische Sicht auf den Menschen folgt. Schopenhauer hingegen versuchte vor 200 Jahren eine Deutung mithilfe von metaphysischen, buddhistischen und hinduistischen Überlegungen, die zu einem pessimistisches Bild vom Menschen führten, der – sein ständiges Leiden erkennend – sich nur mit anderen im Leid solidarisieren oder sich mithilfe der Kunst und Musik aus dem Leben ins Nirwana verabschieden kann oder sich aller Wünsche entsagen muss, die zum Leid führen und damit auch alleine bleibt – wie er selbst, auch oder gerade weil er sich mit der Begründung, ein Genie zu sein, sich dem in der Kindheit erworbenen Misstrauen; Besserwisserei und Übellaunigkeit unterwerfen musste.

Ablauf Filmbesprechung
- 16.00 h Gemeinsames Kochen, für diejenigen, die gerne mitkochen
- 17.30 h gemeinsames Essen, für diejenigen, die gerne gemeinsam essen
- 21.15 h Besprechung des Filmes: Die Filme werden vorher von jedem privat angeschaut.
Die Filmbesprechungen finden in Dübendorf, Im Schossacher 17, 3. Stock statt.
Wir sollten lernen, mit den Augen des Kindes zu sehen, mit den Ohren des Kindes zu hören, mit dem Herzen des Kindes zu fühlen.